Arbeitgeber, die den gesetzlichen oder branchenspezifischen Mindestlohn umgehen, riskieren erhebliche staatliche Sanktionen. Diese reichen von Bußgeldern bis zu 500.000 Euro über den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge bis hin zur persönlichen Strafbarkeit nach § 266a StGB wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt.
Daneben hat der benachteiligte Arbeitnehmer arbeitsrechtlich Anspruch auf die ortsübliche Vergütung, die mindestens die Höhe des Mindestlohns beträgt (str., vgl. Vogelsang in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 20. Aufl., § 66 Rn. 40). Die den Mindestlohn unterschreitende Vereinbarung ist schlicht unwirksam, die Folgen ergeben sich aus § 612 Abs. 2 BGB. Die Differenz zwischen tatsächlich gezahltem und dem nicht ausbezahlten Entgelt wird dabei als „Phantomlohn“ bezeichnet (Zieglmeier/Rittweger, Risiken des Arbeitgebers in der Betriebsprüfung, Rn. 184). Bei einer nachträglichen Aufdeckung der Mindestlohnunterschreitung im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV trägt der Arbeitgeber das sozialversicherungsrechtliche Beitragsrisiko rückwirkend bis zu vier Jahre, bei Vorsatz sogar bis zu 30 Jahre (§ 25 SGB IV), und zwar sowohl für den Arbeitgeber- als auch den für den Arbeitnehmeranteil (§ 38g S. 3 SGB IV) (Zieglmeier/Rittweger a.a.O.).
Mindestlohnberechnung
Um sicherzustellen, dass der Mindestlohn korrekt gezahlt wird, ist die exakte Berechnung des Arbeitsentgelts entscheidend. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn ist erfüllt, wenn die in einem Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung mindestens dem Betrag entspricht, der sich aus der Multiplikation der geleisteten Arbeitsstunden mit dem gesetzlichen Mindestlohnsatz ergibt. Stück- und Akkordlöhne sind weiterhin erlaubt, solange der gesetzliche Mindestlohn pro geleisteter Arbeitsstunde erreicht wird.
Trinkgelder
Trinkgelder, wie sie beispielsweise in der Gastronomie sowie im Friseurhandwerk üblich sind, stellen freiwillige Leistungen der Kunden dar und zählen daher in der Regel nicht zum Arbeitsentgelt, unterliegen nicht der Einkommensteuer und sind für Sozialabgaben unbeachtlich (vgl. § 107 Abs. 3 GewO; § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SvEV; § 3 Nr. 51 EStG). Sie dürfen daher nicht in die Mindestlohnberechnung einbezogen werden.
Etwas anderes gilt, wenn Kunden Trinkgelder an den Arbeitgeber leisten und diese von ihm gemäß einer arbeitsvertraglichen Regelung anteilig an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden (sogenannter „Tronc“; vgl. BFH, Beschluss vom 25.11.2009 – VI B 97/09). In der Regel anzutreffen ist diese Regelung in der Glückspielbranche.
Arbeitskleidung
Arbeitskleidung ist die Kleidung, die der Arbeitnehmer selbst aussucht, beschafft und zur Arbeit trägt. Er muss auch die Kosten für Anschaffung und Reinigung übernehmen. Diese Kleidung hat keine Auswirkung auf den Mindestlohn.
Dienstkleidung
Schreibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor, bestimmte Kleidungsstücke zu tragen, handelt es sich um Dienstkleidung. Entstehen dem Arbeitgeber dadurch Kosten oder gewährt er Zuschüsse an den Arbeitnehmer, kann er diese jedoch nicht auf den Stundenlohn anrechnen, da sie keine Gegenleistung für die geleistete Arbeit darstellen.
Schutzkleidung
Bei gefährdenden Tätigkeiten ist der Arbeitgeber aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht (vgl. § 618 Abs. 1 BGB) verpflichtet, dem Arbeitnehmer geeignete Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen oder ihm die Kosten für eine solche zu ersetzen (BAG, Urteil vom 19.5.1998 – 9 AZR 307/96). Wie im Falle der Dienstkleidung liegt hierin ebenfalls keine Gegenleistung, für die der Arbeitnehmer seine Arbeit leistet. Die Kosten sind somit nicht auf den Stundenlohn anzurechnen.
Aufwandsentschädigungen, Zusatzleistungen
Dasselbe gilt für Aufwandsentschädigungen und Kostenerstattungen, die arbeitsbedingte Aufwände und Kosten nur ausgleichen sollen. Dazu zählen unter anderem die Erstattung von Reise- und Fortbildungskosten.
Etwas anderes gilt, wenn es sich bei Zahlungen um Gegenleistungen handelt. Dazu zählen unter anderem „Wegegelder“, bei denen der Arbeitnehmer für die Zeit, die er für seinen Arbeitsweg benötigt, vergütet werden soll. Auch sogenannte „Sozialzulagen“ wie Zuschüsse für Kinderbetreuungskosten fallen darunter.
Nach §§ 1 und 20 MiLoG ist der Mindestlohn grundsätzlich als Geldleistung zu erbringen. Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung, kann er die dafür anfallenden Kosten daher nicht auf den Mindestlohn anrechnen.
Beiträge des Arbeitgebers zur betrieblichen Altersvorsorge sowie vermögenswirksame Leistungen bleiben unberücksichtigt (EuGH, Urteil vom 7.11.2013 – C-522/12).
Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne
Entscheidend für die Berechnung des Stundenlohns ist die Arbeitszeit im jeweiligen Kalendermonat. Daher stellt sich die Frage, ob neben der Vollarbeit (tatsächliche Zeit der Arbeitsleistung) auch Bereitschaftszeiten zur Arbeitszeit im Sinne des Mindestlohns zu zählen sind. Hierzu wird zwischen den folgenden Formen unterschieden:
- Arbeitsbereitschaft: Der Arbeitnehmer muss sich an seinem Arbeitsplatz aufhalten, auch wenn gerade keine Arbeit anfällt. Die dafür anfallende Zeit ist Arbeitszeit (BT-Drs. 12/5888, 26).
- Bereitschaftsdienst: Der Arbeitnehmer steht am Arbeitsplatz für die Arbeitsleistung zur Verfügung und kann die Nutzung dieser Zeit nicht frei bestimmen. Dieser Zeitraum ist ebenfalls Arbeitszeit (EuGH, Urteil vom 3.10.2000 – C-303/98).
- Rufbereitschaft: Der Arbeitnehmer hält sich an einem sonstigen Ort (z.B. in der Privatwohnung) auf und ist verpflichtet, auf Anforderung zur Arbeitsstelle oder einem Einsatzort zu kommen und Arbeit zu leisten. Ob die Rufbereitschaft als Arbeitszeit einzuordnen ist, hängt sowohl vom Grad der Freiheit ab, die ihm bei der Gestaltung der Rufbereitschaftszeit vom Arbeitgeber eingeräumt wird als auch davon, wie oft er während dieser Zeiten normalerweise tatsächlich Arbeitsleistung zu erbringen hat (EuGH, Urteil vom 9.3.2021 – C-580/19). Dies muss im Einzelfall entschieden werden. Muss ein Arbeitnehmer beispielsweise während der Rufbereitschaft innerhalb von acht Minuten zur Arbeit erscheinen, liegt Arbeitszeit vor (EuGH, Urteil vom 21.2.2018 – C-518/15).
Überstunden
Der Mindestlohn ist für alle geleisteten Arbeitsstunden zu entrichten, unabhängig davon, ob es sich dabei um Überstunden handelt. Dies gilt auch, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart ist, dass eine bestimmte Höchstzahl an Überstunden durch den Lohn bereits abgegolten ist.
Sonderzahlungen, Zulagen und Prämien
Bei der Berechnung des Mindestlohns ist stets auf den Bruttolohn für einen Kalendermonat abzustellen. Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind daher nur für den Monat berücksichtigungsfähig, in dem sie ausbezahlt werden.
Überstundenzuschläge können nur herangezogen werden, wenn ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer bei einer durchschnittlicher Wochenarbeitszeit (ca. 41 Stunden) den Mindestlohn erreichen würde (BT-Drs. 18/1558, 28).
Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-, Nacht- und Schichtarbeit sollen in der Regel die besondere, über die normale Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers hinausgehende Leistung ausgleichen. Sie sind damit nicht bei der Berechnung des Mindestlohns einzubeziehen (BT-Drs. 18/1558). Etwas anderes gilt nur, sofern ein bestimmter Arbeitnehmer gerade dazu beschäftigt ist, diese Arbeiten auszuführen. In dem Fall gilt diese Arbeit als Normalleistung und entsprechende Zuschläge sind zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 18.4.2012 – 4 AZR 139/10). Davon unabhängig ist der gesetzliche Nachtarbeitszuschlag nach § 6 V ArbZG niemals berücksichtigungsfähig (BAG, Urteil vom 25.5.2016 – 5 AZR 135/16).
Leistungs- und Qualitätsprämien sollen Arbeitnehmer belohnen, die über das Normale hinaus eine besondere Arbeitsleistung erbringen. Demzufolge können sie nicht zur Berechnung des Mindestlohns herangezogen werden.
Sozialversicherungsrechtliche und strafrechtliche Folgen der Umgehung des gesetzlichen Mindestlohns
Mindestlohnunterschreitungen stellen einerseits Ordnungswidrigkeiten (§ 21 MiLoG, § 23 AEntG) dar, führen aber auch zu einer Strafbarkeit wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB. Betroffen sind der gesetzliche Mindestlohn, aber auch Mindestlöhne aus für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen.
Die strafrechtlich relevanten Sozialversicherungsbeiträge berechnen sich nicht nach dem tatsächlichen gezahlten Lohn, sondern nach dem gesetzlich geschuldeten Mindestlohn. Wird dieser unterschritten, werden damit einhergehend Sozialversicherungsbeiträge verkürzt. Betroffenen Arbeitgebern drohen daher gleichzeitig sehr hohe Bußgelder (welche die Ersparnis aus der Mindestlohnunterschreitung abschöpfen sollen) und empfindliche Geld- oder gar Freiheitsstrafen.
Für die Prüfung der Einhaltung und Zahlung des Mindestlohns obliegt dem Zoll. Folge einer solchen Prüfung der FKS ist häufig die Einleitung von Strafverfahren nach § 266a StGB.