Durch Gesetz oder letztwillige Verfügung berufene Erben können die Erbschaft ausschlagen. Dies hat die Konsequenz, dass sie für den Erbfall als nicht existent betrachtet werden (§§ 1942 ff, 1953 Abs.2 BGB).
Die Ausschlagung kann auch das Ziel haben, den Nachlass einem dadurch zum Erben Berufenen ohne Umweg zuzuwenden.
Dabei ist allerdings größte Sorgfalt und höchste Vorsicht geboten.
Der Fall
Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 22.03.2023 – IV ZB 12/22 – entschieden, dass ein Irrtum über die durch die Ausschlagung zu Erben werdenden Personen eine Anfechtung der Ausschlagungserklärung nicht rechtfertigen kann. Dabei handele es sich um einen rechtlich bedeutungslosen Irrtum (juristisch Motivirrtum), der die Wirkungen der Ausschlagung nicht mehr beseitigen könne.
Im konkreten Fall ging es darum, dass die Ausschlagung der Erbschaft durch die Abkömmlinge (geplant zugunsten ihrer Mutter, der Witwe des Erblassers) andere gesetzliche Erben, nämlich Geschwister des Erblassers als weitere gesetzliche Erben neben der Witwe an der Erbschaft partizipierten.
Die – nach dieser Entscheidung rechtlich nicht mehr zu beseitigende – Ausschlagung begünstigte also nicht nur die Witwe des Erblassers, sondern – von den Ausschlagenden unbeabsichtigt – die möglicherweise bis dahin nicht einmal bekannte Verwandtschaft des Erblassers. Nach § 1931 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BGB erhalten diese – je nach Güterstand des Erblassers – zumindest ¼ der Erbschaft!
Folgen der Entscheidung
Der Versuch einer lenkenden Ausschlagung kann immer dazu führen, dass bisher unbekannte Erben, Verwandte, nicht „geoffenbarte“ Kinder auftauchen. Diese Risiken und die möglicherweise mit anderen Formen der Erbteilszuwendung verbundenen Nachteile können nur dann sicher umgangen werden, wenn die gewünschten Rechtsfolgen des Erbfalls rechtzeitig vorher durch letztwillige Verfügung geregelt werden.
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2023/09/alvaro-serrano-hjwKMkehBco-unsplash-scaled.jpg12801920Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2023-09-01 16:44:372023-09-01 16:44:39Dramatische Folgen einer lenkenden Erbausschlagung (BGH Beschluss vom 22.03.2023, IV ZB 12/22)
Die Nutzung von privaten Chatgruppen im privaten Umfeld ist für viele Menschen selbstverständlich geworden. Doch was passiert, wenn private Chats arbeitsrechtliche Konsequenzen haben? Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts gibt Aufschluss (Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23, Pressemitteilung des BAG).
Der Fall
Ein Arbeitnehmer war seit längerer Zeit Teil einer privaten Chatgruppe zusammen mit einigen anderen Kollegen. Die Gruppenmitglieder kannten sich schon seit Jahren, waren befreundet, einige waren sogar miteinander verwandt. In dieser Gruppe sprachen sie über private Angelegenheiten. Dennoch sandte der Arbeitnehmer, ähnlich wie einige andere Mitglieder der Gruppe, Nachrichten, in denen er sich beleidigend und menschenverachtend über Vorgesetzte und andere Kollegen äußerte. Nachdem der Arbeitgeber hiervon erfuhr, kündigte er das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer außerordentlich fristlos, wogegen dieser Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhob.
Entscheidungen der Vorinstanzen
Die Vorinstanzen – zuletzt das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 19.12.2022 – 15 Sa 284/22) – gaben dem Arbeitnehmer Recht. Die Gerichte urteilten, dass die Äußerungen des Arbeitnehmers in der Chatgruppe in einer Umgebung geäußert wurden, in welcher er auf die Vertraulichkeit vertrauen durfte. Diese Vertraulichkeitserwartung überwiege das Interesse der durch seine Äußerungen beleidigten Kollegen.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht urteilte anders und gab der Revision des Arbeitgebers statt. Die außerordentliche Kündigung sei gerechtfertigt. Die Vorinstanz habe fälschlicherweise angenommen, dass der Kläger berechtigterweise erwartet habe, dass seine Äußerungen vertraulich bleiben. Eine solche Erwartung an Vertraulichkeit bestehe laut Bundesarbeitsgericht aber nur, wenn die Chatgruppenmitglieder einen besonderen Schutz ihrer Kommunikation beanspruchen können. Dies hängt vom Inhalt der Nachrichten und der Struktur der Chatgruppe ab. Wenn Nachrichten, wie in diesem Fall, beleidigende Bemerkungen über Betriebsangehörige enthalten, muss seitens des Arbeitnehmers dargelegt werden, warum er glaubte, dass diese Informationen nicht an Dritte weitergegeben werden. Das Bundesarbeitsgericht wies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück. Damit hat der Arbeitnehmer nunmehr die Möglichkeit darzulegen, warum er aufgrund der Größe und der Zusammensetzung der Chatgruppe sowie der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppen-mitglieder im Chat und der Verwendung eines solchen schnelllebigen Chats eine Erwartung in die Vertraulichkeit haben durfte.
Folgen und Einordnung der Entscheidung
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt, dass private Chats auf Plattformen wie z.B. WhatsApp sehr reale berufliche Konsequenzen haben können.
Arbeitnehmer sollten daher stets bedenken, dass selbst in privaten Gruppen Inhalte an Dritte und somit auch den Arbeitgeber weitergegeben werden können und man nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, dass die Erwartung in die Vertraulichkeit vor Folgen – wie einer Kündigung – schützt. Für Arbeitgeber senkt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die Risiken bei der Vorgehensweise gegen schwerwiegende, insbesondere beleidigende und menschenverachtende Äußerungen innerhalb der Belegschaft.
Diese Klarstellung ist begrüßenswert, da das BAG in seinem Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 noch erklärte, dass Arbeitnehmer – trotz ehrverletzender Äußerungen über Vorgesetzte und/oder Kollegen – regelmäßig darauf vertrauen dürfen, dass Äußerungen aus diesen Gesprächen nicht nach außen getragen werden. Aufgrund der aktuellen Entscheidung kommt u.a. dem Inhalt der Äußerung maßgebliche Bedeutung zu. Wenn die Äußerungen besonders schwerwiegend sind, darf der Arbeitnehmer nicht mehr ohne weiteres auf die Vertraulichkeit vertrauen.
In Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem immer mehr verschwimmen, ist es essenziell, sich der möglichen Konsequenzen bewusst zu sein. Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts macht dies eindrücklich deutlich.
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2023/08/freestocks-mw6Onwg4frY-unsplash-scaled.jpg12801920Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2023-08-31 07:40:262023-08-31 08:50:45Private Chatgruppe und Arbeitsrecht: Kündigung wegen Beleidigungen gegenüber Vorgesetzten und Kollegen in einer Chatgruppe (BAG Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23)
In der Arbeitswelt ist das Arbeitszeugnis ein entscheidendes Dokument. Es spiegelt nicht nur die Dauer und Art der Tätigkeit eines Arbeitnehmers wider, sondern auch dessen Leistung und Verhalten. Doch was passiert, wenn ein Arbeitgeber ein unzureichendes oder gar schädigendes Zeugnis ausstellt? Hat der Arbeitnehmer das Recht, eine Berichtigung zu verlangen, selbst Jahre nach Erhalt des Zeugnisses?
Ein kürzlich vom LAG Baden-Württemberg entschiedener Fall beleuchtet diese Frage. Ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitszeugnis als „unterirdisch“ bezeichnete, kämpfte um sein Recht auf ein korrektes Zeugnis. Trotz der Tatsache, dass zwei Jahre seit der Ausstellung des Zeugnisses vergangen waren, entschied das LAG, dass der Zeugnisanspruch nicht verwirkt war.
Das LAG betonte, dass Arbeitnehmer das Recht haben, eine Berichtigung oder Ergänzung ihres Arbeitszeugnisses zu verlangen, wenn es den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht. Dieses Recht kann „verwirken“, d.h. verloren gehen, wenn es über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht wird. Im vorliegenden Fall war das „Zeitmoment“ gegeben, da zwei Jahre vergangen waren. Doch das LAG entschied, dass kein „Umstandsmoment“ vorlag, da der Arbeitgeber das Zeugnis absichtlich unzureichend gestaltet hatte.
Was bedeutet das für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Diese Entscheidung hat weitreichende Implikationen. Arbeitgeber müssen nun vorsichtiger sein und sicherstellen, dass sie Arbeitszeugnisse korrekt und fair ausstellen. Ein unzureichendes Zeugnis kann nicht nur zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen, sondern auch zu Schadensersatzansprüchen.
Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie ihre Rechte kennen und verteidigen sollten. Ein Arbeitszeugnis hat einen erheblichen Einfluss auf zukünftige Karrieremöglichkeiten, und es ist wichtig, sicherzustellen, dass es korrekt und repräsentativ ist.
Das Arbeitszeugnis ist mehr als nur ein Stück Papier. Es ist ein Spiegelbild der beruflichen Laufbahn eines Arbeitnehmers und kann Türen öffnen oder schließen. Es ist daher von größter Bedeutung, dass es korrekt und fair ist. Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung eines korrekten Arbeitszeugnisses und erinnert Arbeitgeber daran, ihre Pflichten ernst zu nehmen und Arbeitnehmer daran, dass es rechtliche Möglichkeiten gibt, sich gegen absichtlich unzureichende Arbeitszeugnisse erfolgreich zur Wehr zu setzen.
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2022/11/scott-graham-OQMZwNd3ThU-unsplash.jpg12811920Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2023-08-16 16:43:502023-08-16 16:48:55„Ungenügend“ und „unterirdisch“: Das Recht auf ein korrektes Arbeitszeugnis (LAG Baden-Württemberg Urteil vom 31.05.2023, 4 Sa 54/22)
Im Jahr 2013 waren von der EU endgültige Antidumpingzölle auf Fotovoltaikmodule aus China eingeführt worden*. Chinesische Unternehmen, deren Verpflichtungsangebote von der Kommission angenommen wurden, waren unter bestimmten Voraussetzungen von diesen Antidumpingzöllen ausgenommen**. Hierzu zählte auch die S. Ltd. mit Sitz in der Volksrepublik China, deren hundertprozentige Tochter die deutsche Su. GmbH war.
Nach Art. 3 Abs. 1 der Antidumpingverordnung waren Fotovoltaikmodule vom Antidumpingzoll befreit, die unter den KN-Codes ex 8541 40 90 (TARIC-Codes 8541 40 90 21, 8541 40 90 29, 8541 40 90 31 und 8541 40 90 39) eingereiht und von Unternehmen in Rechnung gestellt wurden, deren Verpflichtungsangebote von der Kommission angenommen worden waren und die namentlich im Anhang des Durchführungsbeschlusses 2013/707/EU genannt waren, sofern u.a. für diese Einfuhren eine Verpflichtungsrechnung vorgelegt wurde. Eine Verpflichtungsrechnung war definiert als eine Handelsrechnung, die mindestens die Angaben und die Erklärung enthielt, die in Anhang III der Antidumpingverordnung vorgegeben waren. Danach war insbesondere die Beschreibung der Verkaufsbedingungen, einschließlich dem Preis je Einheit (Watt), den geltenden Zahlungsbedingungen, den geltenden Lieferbedingungen sowie eventuellen Preisnachlässen und Mengenrabatten insgesamt, erforderlich.
Die Angeklagten und weitere Personen schlossen sich im Jahr 2013 zusammen, um Solarmodule aus China unter Vorlage unzutreffender Verpflichtungsrechnungen und Ausfuhrverpflichtungsbescheinigungen vorgeblich zum vereinbarten Mindesteinfuhrpreis in das Gebiet der Europäischen Union einzuführen und diese vorgeblich zu einem über dem Mindesteinfuhrpreis liegenden Verkaufspreis an den ersten unabhängigen Kunden zu verkaufen und dadurch eine Befreiung von den Antidumping- und Ausgleichszöllen zu erreichen. Tatsächlich sollten die Module unterhalb des Mindesteinfuhrpreises an unabhängige Abnehmer in der Europäischen Union verkauft werden.
Deshalb wurde in den im Namen der Su. GmbH abgegebenen Zollanmeldungen nicht der unter dem Mindesteinfuhrpreis liegende tatsächliche Einfuhrpreis angegeben; vielmehr wurde der Zollwert überhöht angemeldet – sog. Überfakturierung – und durch Vorlage inhaltlich unzutreffender Verpflichtungsrechnungen und Ausfuhrverpflichtungsbescheinigungen ein Bezug der Solarmodule zum Mindesteinfuhrpreis und der beabsichtigte Weiterverkauf an einen ersten unabhängigen Kunden zu einem um die Vertriebsgemeinkosten und einen Gewinnaufschlag erhöhten Mindesteinfuhrpreis vorgespiegelt. Die überhöhten Verkaufspreise sollten entweder von vornherein nicht vollständig gezahlt oder später zurückgezahlt („Kickback“) werden.
Die Staatsanwaltschaft warf den Angeklagten in der Anklageschrift vor, in den Jahren 2013 bis 2017 in 172 Fällen insgesamt Antidumping- und Ausgleichszölle i.H.v. insgesamt 21.060.140,36 Euro hinterzogen zu haben.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Angeklagten mit Urteil vom 05.05.2021 aus Rechtsgründen freigesprochen***. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft war erfolgreich. Mit Urteil vom 06.09.2022 hob der Bundesgerichtshof die Freisprüche auf und verwies die Sache zurück an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth.
Bei seiner Begründung stellt der Bundesgerichtshof insbesondere auf die inhaltliche Unrichtigkeit der vorgelegten Verpflichtungsrechnungen ab:
„Gleichwohl entstand bei den Einfuhren der Solarmodule jeweils eine Zollschuld, weil die von der Angeklagten M. vorgelegten Verpflichtungsrechnungen nicht – wie erforderlich – den tatsächlichen Kaufpreis auswiesen. Dass formal die ausgewiesenen Preise vereinbart waren, steht dem nicht entgegen, weil diese Preise entweder von vornherein nicht gezahlt oder später teilweise zurückgezahlt werden sollten. Insofern war der Verkauf zu den höheren Preisen ein Scheingeschäft, das den Verkauf zu niedrigeren Preisen verdecken sollte. Scheingeschäfte und Scheinhandlungen sind für die Besteuerung unerheblich. Wird durch ein Rechtsgeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Besteuerung maßgeblich (§ 41 Abs. 2 AO). Preisnachlässe waren nach dem Wortlaut der Durchführungsverordnungen ohnehin offenzulegen. Indem die Angeklagte auf diese inhaltlich fehlerhaften Rechnungen Bezug nahm, machte sie zugleich unrichtige Angaben.“
Dies erscheint nicht unproblematisch. Zwar entstand nach Art. 3 Abs. 2 lit. a der Antidumpingverordnung eine Zollschuld, wenn bei den Einfuhren festgestellt wurde, dass eine oder mehrere Bedingungen des Art. 3 Abs. 1 der Antidumpingverordnung nicht erfüllt waren. Nach dieser Vorschrift war aber nur „eine Verpflichtungsrechnung“ vorzulegen. Rein formal war dies allerdings geschehen, auch wenn diese Verpflichtungsrechnungen zwar vollständige, aber inhaltlich unzutreffende Angaben enthielten.
Der Bundesgerichtshof schließt also aus der inhaltlich unrichtigen Verpflichtungsrechnung, dass eine den Voraussetzungen der Antidumpingverordnung genügende Rechnung nicht vorgelegt wurde (vgl. Weidemann, wistra 2023, 271, 273). Hieran wird berechtigte Kritik geübt, zuletzt von Weidemann, wistra 2023, 271, 273 f. m.w.N.:
„Problematisch ist allerdings, ob der Wortlaut der zitierten DVOen so eindeutig ist, dass er auf die inhaltliche Richtigkeit und nicht bloß auf die formale Übereinstimmung der Rechnung mit den in der angenommenen Verpflichtungserklärung erwähnten Bedingungen abstellt. Wenn die Vorlage einer Verpflichtungsrechnung, die den wirklichen Inhalt des Geschäfts nicht wiedergibt, eine Verletzung der Verpflichtung ist, dann ist Art. 8 AntidumpingVO einschlägig. Nach dessen Abs. 9 wird die Annahme der Verpflichtungserklärung erst nach einem aufwendigen Verfahren durch Beschluss oder Verordnung widerrufen, und erst dann entsteht die Zollschuld. Dies könnte auf die Richtigkeit der Auffassung von Herrmann / Trapp und Schöler hindeuten, wonach die vom BGH zitierten DVOen nur auf die formale Einhaltung der Pflicht zur Vorlage einer Verpflichtungsrechnung abstellen, und dass deren inhaltliche Prüfung dem Verfahren nach Art. 8 Abs. 9 der AntidumpingVO vorbehalten ist. Dafür scheint auch der Kommissionsbeschluss 2013/423/EU 22 zu sprechen, nach dessen Nr. 17 der Erwägungsgründe der nach Art. 7 der Grundverordnung eingeführte Antidumpingzoll bei Verletzung oder Rücknahme der Verpflichtung oder im Fall des Widerrufs der Annahme nach Art. 8 Abs. 9 der Grundverordnung gilt – also jedenfalls nicht vorher und nicht durch eine bloße Verpflichtungsverletzung. Die in Rz. 16 des Besprechungsurteils hervorgehobene Tatbestandswirkung von Verwaltungsentscheidungen könnte bedeuten, dass es – solange die Verpflichtungsannahme nicht widerrufen ist – bei der aufgrund der Annahme des Verpflichtungsangebots erteilten Zollbefreiung bleibt, auch wenn eine inhaltlich unrichtige Verpflichtungsrechnung vorgelegt wird.
Die Möglichkeit der Zollschuldentstehung bei falscher Verpflichtungsrechnung hätte besser vom EuGH geklärt werden sollen, denn die richtige Anwendung des Unionsrechts ist hier keinesfalls offenkundig (acte-clair). Als innerstaatlich letztinstanzliches Gericht hätte der BGH nach Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH über die Frage der Auslegung der zitierten DVOen einleiten können bzw., sogar, müssen – sofern er eine Entscheidung über diese Frage, wie es in Art. 267 AEUV heißt, ‚zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält‘. Diese Entscheidungserheblichkeit hebelt der Senat allerdings aus, indem er sein Urteil auf ein zweites Bein stellt: Er sieht die Hinterziehung schon darin, dass die Angeklagten einen rechtswidrigen Steuer- bzw. Zollvorteil erlangt haben, der gerade keine Zollschuld voraussetzt. Damit ist die unionsrechtliche Frage, ob die Präsentation der falschen Verpflichtungsrechnung eine Zollschuld auslöst, nicht mehr entscheidungserheblich, und die Vorlage an den EuGH erübrigt sich.“
Aber auch an der Tragfähigkeit dieses „zweiten Beins“ werden berechtigte Zweifel angemeldet.
Unabhängig hiervon muss sich die steuerstrafrechtliche Praxis jedoch an dieser Rechtsprechung des für das Steuerstrafrecht ausschließlich letztinstanzlich zuständigen 1. Senats des Bundesgerichtshofs orientieren. Eine vorgelegte Verpflichtungsrechnung zur Vermeidung von Antidumpingzöllen muss inhaltlich vollumfänglich richtig sein, da andernfalls bei der Einfuhr eine Antidumpingzollschuld entsteht. Wird diese nicht festgesetzt, tritt eine Steuerverkürzung ein. Damit ist der Taterfolg der Steuerhinterziehung gegeben. Durch die Bezugnahme auf eine unrichtige Verpflichtungsrechnung macht der Beteiligte zudem unrichtige Angaben, nimmt also eine der Tathandlungen der Steuerhinterziehung vor. Nimmt er hierbei in Kauf, dass die Verpflichtungsrechnung inhaltlich unrichtig ist, handelt er vorsätzlich und ist wegen Steuerhinterziehung strafbar.
___
* vgl. Art. 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung des Rates (EU) Nr. 1238/2013: „Es wird ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt auf die Einfuhren von Fotovoltaikmodulen oder -paneelen aus kristallinem Silicium und von Zellen des in Fotovoltaikmodulen oder -paneelen aus kristallinem Silicium verwendeten Typs (die Dicke der Zellen beträgt höchstens 400 Mikrometer), die derzeit unter den KN-Codes ex 8501 31 00, ex 8501 32 00, ex 8501 33 00, ex 8501 34 00, ex 8501 61 20, ex 8501 61 80, ex 8501 62 00, ex 8501 63 00, ex 8501 64 00 und ex 8541 40 90 (TARIC-Codes 8501 31 00 81, 8501 31 00 89, 8501 32 00 41, 8501 32 00 49, 8501 33 00 61, 8501 33 00 69, 8501 34 00 41, 8501 34 00 49, 8501 61 20 41, 8501 61 20 49, 8501 61 80 41, 8501 61 80 49, 8501 62 00 61, 8501 62 00 69, 8501 63 00 41, 8501 63 00 49, 8501 64 00 41, 8501 64 00 49, 8541 40 90 21, 8541 40 90 29, 8541 40 90 31 und 8541 40 90 39) eingereiht werden, mit Ursprung in oder versandt aus der Volksrepublik China; ausgenommen davon sind Waren im Durchfuhrverkehr im Sinne des Artikels V GATT.“
** vgl. Art. 8 Abs. 1 Verordnung (EU) 2016/1036: „Wurde im Rahmen der vorläufigen Sachaufklärung das Vorliegen von Dumping und Schädigung festgestellt, kann die Kommission gemäß dem in Artikel 15 Absatz 2 vorgesehenen Beratungsverfahren zufriedenstellende freiwillige Verpflichtungsangebote annehmen, in denen sich ein Ausführer verpflichtet, seine Preise zu ändern oder die Ausfuhren zu Dumpingpreisen zu unterlassen, sofern sie davon überzeugt ist, dass die schädigenden Auswirkungen des Dumpings auf diese Weise beseitigt werden.“
*** LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 05.05.2021 – 3 KLs 504 Js 2388/18
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2023/08/230803-OG-Containerhafen-Zoll.jpeg6741200Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2023-08-03 15:21:142023-08-03 15:21:15Überfakturierung zur Umgehung von Antidumpingzöllen auf Solarmodule – BGH Urt. v. 06.09.2022 – 1 StR 389/21
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision der Angeklagten deren Verurteilung u.a. wegen Rechtsbeugung bestätigt, jedoch die gegen sie verhängte Strafe aufgehoben.
Das Landgericht Hagen hatte die Angeklagte insbesondere wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen setzte die als Richterin tätige Angeklagte unter anderem unter Verfälschung des Hauptverhandlungsprotokolls eine erstinstanzliche Strafsache fort, obwohl sie den dort Angeklagten in dessen Abwesenheit bereits verurteilt hatte. Der Bundesgerichtshof führt hierzu aus:
„In der Hauptverhandlung am 27. Oktober 2017 verurteilte die Beschwerdeführerin in einer Strafsache den abwesenden dort Angeklagten zu einer Geldstrafe. Als sie spätestens im März 2018 aufgrund einer Anfrage der Staatsanwaltschaft bemerkte, kein Urteil zu den Akten gebracht zu haben, beschloss sie, dieses Versäumnis zu verschleiern. Sie tauschte daher zwei Seiten des fertiggestellten Hauptverhandlungsprotokolls gegen selbst gefertigte Seiten aus und entfernte die Anlage mit dem Urteilstenor, wodurch das manipulierte Protokoll dem Geschehen in der Hauptverhandlung zuwider mit einem Beschluss über deren Aussetzung endete.“
In anderen Strafsachen täuschte sie die fristgerechte Urteilsabsetzung mithilfe von Verfügungen und Vermerken vor oder brachte die Urteile überhaupt nicht zu den Akten. Hierbei ging es durchaus nicht um Bagatellen (a.a.O.):
„In drei weiteren Strafverfahren verurteilte die Beschwerdeführerin die dort Angeklagten zu Freiheits- oder Geldstrafen; gegen einen Angeklagten setzte sie außerdem einen Haftbefehl wieder in Vollzug.“
Zudem verweigerte sie die Bearbeitung von Verfahren in Familiensachen und deponierte die Akten in ihrem Keller. Dies tat sie, um „die Akte nicht mehr bearbeiten zu müssen“ und sie dem Geschäftsgang zu entziehen. Auch Strafakten verwahrte sie zuhause, sodass diese für Berufungsverfahren rekonstruiert werden mussten und erst nach der Durchsuchung der Wohnung der Richterin wieder „in den Geschäftsgang gelangten“.
Die Überprüfung des Urteils gegen die Richterin durch den 4. Senat hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, soweit das Landgericht sie wegen Rechtsbeugung, Urkundenfälschung und Verwahrungsbruch verurteilt hatte. In 6 Fällen habe die Angeklagte jedoch entgegen der rechtlichen Würdigung in dem angefochtenen Urteil eine Rechtsbeugung nicht durch aktives Tun, sondern durch Unterlassen begangen. Die Strafzumessung des Landgerichts halte deshalb einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, sondern müsse neu festgesetzt werden.
Unter der Überschrift „Zoll beschlagnahmt Autos russischer Urlauber“ berichtete ntv.de am 12.07.2023 von bisher wenig beachteten Auswirkungen der Russland-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Danach sollen deutsche Zollbehörden aus Russland stammende Fahrzeuge, die sich in Deutschland befinden, beschlagnahmt haben. Bei den betroffenen Fahrzeugführern bzw. -haltern handele es sich um russische Urlauber sowie einen in Deutschland mit einer Aufenthaltserlaubnis lebenden Russen.
Im Zusammenhang mit den Beschlagnahmen seien zudem Strafverfahren wegen des Verdachts eines Sanktionsverstoßes eingeleitet worden. (Die einschlägige Strafvorschrift ist § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Außenwirtschaftsgesetzes [AWG]. Danach wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren u.a. bestraft, wer einem Einfuhr- oder Verbringungsverbot aus einer Verordnung der Europäischen Union zuwiderhandelt.)
Auf Nachfrage von ntv.de habe der Zoll per E-Mail mitgeteilt, dass Grundlage der Maßnahmen Art. 3i der EU-Sanktionsverordnung Nr. 833/2014 sei. Das Bundesfinanzministerium verweise auf die Aussage eines Sprechers im Rahmen der Regierungspressekonferenz vom 07.07.2023, der ebenfalls auf die Verordnung 833/2014 Bezug nehme und darauf, dass darin PKW und andere Kraftfahrzeuge genannt werden, die damit grundsätzlich dem Einfuhrverbot unterliegen.
Dem Protokoll der Regierungspressekonferenz vom 07.07.2023 ist hierzu das Folgende zu entnehmen:
„Frage: Eine Frage an die Bundesregierung und das Bundesjustizministerium. Seit einigen Wochen häufen sich Fälle, dass bei einer Einreise nach Deutschland Autos mit russischen Kennzeichen beschlagnahmt werden. Der Zoll verweist dabei auf eine EU-Verordnung im Rahmen der Sanktionen, die den Import von Personenkraftwagen aus Russland verbietet, weil damit Einkünfte generiert werden können, die der Ukraine schaden. In allen anderen EU-Ländern versteht man darunter den geschäftsmäßigen Import von Pkw, und nur in Deutschland werden private Pkw konfisziert. Warum ist Deutschland das einzige EU-Land, in dem Kraftfahrzeuge mit russischen Kennzeichen beschlagnahmt werden?
Nimindé-Dundadengar: Zu Einzelfällen äußern wir uns grundsätzlich nicht.
Ich kann vielleicht grundsätzlich ausführen: Maßgebliche Rechtsgrundlage – das haben Sie schon angemerkt – ist die EU-Verordnung Nr. 833 aus dem Jahr 2014. EU-Verordnungen sind in allem Mitgliedstaaten rechtsverbindlich, also auch in der Bundesrepublik Deutschland. Nach dieser Verordnung ist es verboten, die in dem entsprechenden Anhang aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden.
Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zur Beförderung entsprechend von weniger als zehn Personen bestimmt sind, sind seit dem 6. Oktober 2022 in dieser Verordnung genannt und unterliegen damit grundsätzlich dem Verbot.
Wie gesagt, zu Einzelfällen kann ich mich nicht äußern. Bei Vorliegen eines Strafverfahrens ist das Sache der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft. Wenn Fahrzeuge aus Sicht des Eigentümers zu Unrecht beschlagnahmt werden, steht es hier in Deutschland regelmäßig frei, entsprechende Rechtsmittel einzulegen.
Zusatzfrage: Anscheinend ist Deutschland bisher das einzige EU-Land, das diese Verordnung auch auf private Fahrzeuge, die nicht zum Verkauf stehen, ausweitet. Wie kommt es dazu? Sieht man da Nachregelungsbedarf? Wird man die Praxis an die Praxis der anderen EU-Länder angleichen?
Nimindé-Dundadengar: Noch einmal: Hier geht es um eine EU-Verordnung, die in allen Mitgliedstaaten rechtsverbindlich ist. Die Darstellung, wie Sie sie jetzt hier vorbringen, kann ich so nicht bestätigen beziehungsweise ist mir nicht bekannt. Die EU-Verordnung wird hier entsprechend dem Wortlaut umgesetzt. Das wäre alles, was ich dazu sagen kann.“
Mittlerweile wurde bekannt, dass das Strafverfahren gegen den in Deutschland mit einer Aufenthaltsgenehmigung lebenden russischen Staatsbürger von der Staatsanwaltschaft Hamburg eingestellt und zugleich die Herausgabe des beschlagnahmten Fahrzeugs angeordnet wurde (Berliner Zeitung vom 14.07.2023). In der St. Petersburger Zeitung Fontanka wurde die Kopie eines entsprechenden Schreibens des Hauptzollamts Hamburg an den Betroffenen veröffentlicht:
Bezüglich der betroffenen russischen Touristen sind bis dato keine Verfahrensabschlüsse bzw. die Herausgabe der Fahrzeuge bekannt geworden. Die unterschiedliche Behandlung mag darauf zurückgehen, dass der in Deutschland lebende russische Staatsbürger sein Fahrzeug noch vor Aufnahme von Personenkraftwagen in die Sanktionsverordnung nach Deutschland verbracht hatte.
Diese Ausweitung der Sanktionen auf Personenkraftwagen war Teil des Achten Sanktionspakets der Europäischen Union. Mit der entsprechenden Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 06.10.2022 wurde die ursprüngliche Sanktionsverordnung , deren vollständiger Name „Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren“ lautet, erneut geändert.
Der einschlägige Artikel 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 lautet seitdem:
„Es ist verboten, die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden.“*
In Anhang XXI, auf den Art. 3i Bezug nimmt, werden unter der Überschrift „Liste der Güter und Technologien nach Artikel 3i“ neben zahlreichen anderen Waren auch
„Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zum Befördern von < 10 Personen bestimmt (ausg. Omnibusse der Pos. 8702), einschl. Kombinationskraftwagen und Rennwagen“
mit dem „KN-Code 8703“ aufgeführt. (Bei der KN handelt es sich um die Kombinierte Nomenklatur, eine EU-einheitliche achtstellige Warennomenklatur für Zwecke des Zolls, des Außenhandel und der Statistik.)
Danach scheinen die beschlagnahmten Personenkraftwagen von dem Verbot der Einfuhr oder des Verbringens in die Union betroffen zu sein. Zweifel drängen sich allerdings auf, wenn Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 von „Gütern, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen“ spricht, die von Touristen genutzte Fahrzeuge aber typischerweise nach Beendigung der Reise wieder aus der Union verbracht werden, also in aller Regel für Russland keine Einnahmen erbringen.
Vom Verordnungsgeber ersichtlich gemeint waren Vorgänge mit gewerblichem Charakter, die zumindest grundsätzlich geeignet sind, für Russland Einnahmen zu erbringen, also insbesondere der Verkauf bzw. die Vermietung von Personenkraftwagen in die bzw. in der Union.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind zwei in Anhang VII der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 genannte Ausnahmen für bestimmte Schiffe, Gelände-Zugmaschinen Straßen-Sattelzugmaschinen. Dort heißt es:
„Anmerkung: Unternummer X.A.VI.001f erfasst nicht Schiffe, die zur privaten Beförderung oder zur Beförderung von Personen oder Gütern aus dem oder durch das Zollgebiet der Union verwendet werden und sich zu diesem Zweck vorübergehend dort aufhalten.“
bzw.
„Anmerkung: Unternummer X.A.VII.001b und Unternummer X.A.VII.001c erfassen nicht Fahrzeuge, die zur privaten Beförderung oder zur Beförderung von Personen oder Gütern aus dem oder durch das Zollgebiet der Union verwendet werden und sich zu diesem Zweck vorübergehend dort aufhalten.“
Auf Anhang VII bezieht sich Art. 2a der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, der allerdings nur „Güter und Technologien […], die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten“ betrifft. Der Verordnungsgeber macht also hier nur deutlich, dass Schiffe bzw. Zugmaschinen zur privaten Beförderung nicht zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beizutragen geeignet sind.
Die genannten Ausnahmen lassen sich daher nicht direkt auf Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen, übertragen. In Bezug auf Personenkraftwagen von einem „beredten Schweigen“ des Verordnungsgebers auszugehen liegt in Anbetracht der Eile, mit der die entsprechenden Vorschriften geschaffen wurde, eher fern.
Naheliegend erscheint vielmehr, dass der Verordnungsgeber das Problem, dass private Beförderungen mit Personenkraftwagen – insbesondere zu touristischen Zwecken – durch die Aufnahme der Fahrzeuge in Anhang XXI der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 kriminalisiert werden, nicht gesehen hat.
Sinnvoll erscheint die Aufnahme einer Rechtsklarheit schaffenden Anmerkung in Anhang XXI. Bis dahin sollte das Bundesfinanzministerium durch eine kurzfristige Anweisung der Zollbehörden die völlig unverhältnismäßig erscheinenden Beschlagnahmen russischer Personenkraftwagen, die offensichtlich nicht dazu geeignet sind, Russland erhebliche Einnahmen erbringen, unterbinden.
Die bereits eingeleiteten Strafverfahren sollten nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts, hilfsweise nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.
* Englische Fassung: “It shall be prohibited to purchase, import, or transfer, directly or indirectly, goods which generate significant revenues for Russia thereby enabling its actions destabilising the situation in Ukraine, as listed in Annex XXI into the Union if they originate in Russia or are exported from Russia.” Französische Fassung: “Il est interdit d’acheter, d’importer ou de transférer, directement ou indirectement, dans l’Union, les biens qui génèrent d’importantes recettes pour la Russie et qui lui permettent ainsi de mettre en œuvre ses actions déstabilisant la situation en Ukraine, tels qu’énumérés à l’annexe XXI si ceux-ci sont originaires de Russie ou sont exportés de Russie.”
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2023/07/Zoll-Aussen-und-Praeferenzpruefung.jpg11811772Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2023-07-20 14:54:292023-08-02 13:22:08Zur Beschlagnahme russischer Personenkraftwagen durch den deutschen Zoll
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2023/06/230601_BGHSt.jpeg375500Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2023-06-01 19:08:462023-06-05 09:00:05ChatGPT und Steuerstrafrecht
Es ist höchst umstritten, ob die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit wegen Corona das allgemeine Lebensrisiko der Arbeitnehmer oder das Betriebsrisiko des Arbeitgebers betrifft. Der Unterschied ist gewaltig. Betrifft eine Pandemie das allgemeine Lebensrisiko, verliert ein Arbeitnehmer seine Vergütungsansprüche. Handelt es sich dabei um ein Betriebsrisiko, muss der Arbeitgeber den Lohn bezahlen.
Auffassung des Bundesarbeitsgerichts:
Entgegen der Entscheidungen von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13.10.2021 – 5 AZR 211/21 – nunmehr entschieden, dass bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen wegen einer Pandemie sich das allgemeine Lebensrisiko des Arbeitnehmers verwirkliche. Der Arbeitgeber müsse dafür keine Vergütung zahlen. Im konkreten Fall erhielt eine geringfügige Beschäftigte für die Zeit der behördlich angeordneten Schließung des Betriebs ihres Arbeitgebers daher keinen Lohn.
Fazit:
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gegenüber den Wertungen durchsetzt, die die abweichenden Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts getragen haben. Insbesondere müssen wir mit Spannung erwarten, welche Auswirkungen diese Entscheidung für Auseinandersetzungen in den „Nach-Corona-Zeiten“ haben wird.
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2021/10/markus-spiske-SXnfy2nnPUE-unsplash-scaled.jpg25601707Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2021-10-18 10:57:332022-11-13 20:15:23Lohnanspruch, wenn Arbeit wegen Corona ausfällt?
Die Krankmeldung nach Ausspruch der Kündigung kommt häufig vor und ist daher kein unerwarteter Sachverhalt. Es überrascht daher auch nicht, dass das Bundesarbeitsgericht einen solchen Fall zu entscheiden hatte. Das Urteil des BAG vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 ist sowohl für Arbeitgeber, als auch für Arbeitnehmer, interessant.
Sachverhalt laut Pressemitteilung des BAG
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 und legte der Beklagten eine auf den 8. Februar 2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor.
Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.
Entscheidung des BAG
Die Klage auf Entgeltfortzahlung wurde in letzter Instanz abgewiesen. Zwar hat die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsunfähigkeit mit der dafür vorgesehenen AU-Bescheinigung nachgewiesen. Den Beweiswert dieser Bescheinigung kann der Arbeitgeber – wie auch schon bekannt – durch Tatsachenvortrag erschüttern, der Anlass zu ernsthaftem Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit gibt.
Das Bundesarbeitsgericht sah einen solchen ernsthaften Zweifel in der Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 08. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar bescheinigten Arbeitsunfähigkeit.
Wenn dem Arbeitgeber die Erschütterung des Beweiswertes – wie hier – gelingt, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Dieser Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erbracht werden. Dies gelang der Klägerin vorliegend nicht, so dass die Klage abzuweisen war.
Fazit
Die Entscheidung macht deutlich, dass Arbeitnehmer nicht sicher sein können, dass sie ohne Weiteres Lohnfortzahlung, aufgrund einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, erhalten werden. Auch eine ärztliche AU-Bescheinigung kann in ihrem Beweiswert erschüttert werden.
Für Arbeitgeber gibt die Entscheidung Anlass einzelne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowohl im Zusammenhang mit Kündigungen, als auch im Rahmen „neuer“ Erkrankungen nach Ablauf des sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraums zu hinterfragen und ggfls. die Lohnfortzahlung vorerst nicht zu zahlen.
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2021/10/kelly-sikkema-RmByg5kFfQg-unsplash.jpg14561920Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2021-10-18 10:01:552022-11-14 12:15:06Krank nach der Kündigung – Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Nach § 7 Abs. 3 BUrlG müssen
Arbeitnehmer ihren Resturlaub grundsätzlich bis zum Jahresende nehmen. Das
Bundesurlaubsgesetz trifft hierfür klare Regelungen. Der Jahresurlaub muss
grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr genommen werden, da er ansonsten
verfällt. Eine Übertragung von nicht genommenen Urlaubstagen ist nur unter
gesetzlich festgelegten Voraussetzungen bis zum 31. März des Folgejahres
möglich. Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung ist, dass es dem Arbeitnehmer
nicht möglich sein soll über einen längeren Zeitraum Urlaubsansprüche
anzusammeln, da auch hierdurch der eigentliche Sinn und Zweck des Urlaubs als
Erholungsurlaub unterlaufen werden würde.
Die gesetzlich festgelegten
Übertragungstatbestände sind zum einen dringende persönliche Gründe, wie z.B.
die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, oder zum anderen dringende
betriebliche Gründe, wie z.B. termingebundene Aufträge des Arbeitgebers.
Diese gesetzlich festgelegte automatische Regelung des Verfalls von Urlaubsansprüchen ist durch die aktuelle Rechtsprechung des EUGH gegebenenfalls außer Kraft gesetzt. Mit seinen letzten Entscheidungen zum Urlaubsrecht hat der EuGH klargestellt, dass Arbeitnehmer ihren gesetzlichen Mindesturlaub nicht automatisch verlieren dürfen, wenn sie zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt haben. Entgegen der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG sollen die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche nur dann automatisch verfallen, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in umfassender Kenntnis der Konsequenzen darauf verzichtet hat seinen Urlaub zu nehmen.
Zwar muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zwingen den Urlaub zu nehmen, ihn gegebenenfalls aber darüber aufklären bzw. ihn darauf hinweisen, dass der Urlaubsanspruch verfällt, wenn er ihn nicht nimmt.
Diese Rechtsprechung des EuGH hat enorme Auswirkungen auf Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Für Arbeitnehmer bestehen gegebenenfalls – entgegen der Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes – noch Urlaubsansprüche, die nicht verfallen sind, da ein entsprechender Hinweis des Arbeitgebers fehlte. Arbeitgeber hingegen sollten künftig ihre Arbeitnehmer entsprechend der Rechtsprechung des EuGH ordnungsgemäß aufklären, um den Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche abzusichern.
Sollten Sie hierzu Fragen haben, so stehen Ihnen unsere Rechtsanwälte gerne zur Verfügung.
https://kanzlei-hurlebaus.de/wp-content/uploads/2019/02/chen-mizrach-jL6PTWI7h18-unsplash.jpg10831920Kanzlei Dr. Hurlebaus & GöckmannKanzlei Dr. Hurlebaus & Göckmann2019-02-04 13:27:562022-11-14 12:11:55Verfall von Urlaubsansprüchen
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