Geringfügiger Verstoß gegen die Russland-Sanktionen

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat im Mai 2024 ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO eingestellt, dem die Einfuhr von Computerteilen im Wert von unter 1.000 Euro aus Russland in die Europäische Union zugrunde lag. Die Mindeststrafe des vorgeworfenen Verstoßes gegen § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG beträgt drei Monate, daher war für die Einstellung die Zustimmung des Gerichts erforderlich.

Die Staatsanwaltschaft folgte mit ihrer Entscheidung der entsprechenden Anregung der Verteidigung. Diese hatte zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Geringfügigkeit der Schuld ist deliktspezifisch zu beurteilen, so dass auch bei Vergehen wie dem nach § 18 Abs. 1 AWG, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht sind, die Schuld gering sein kann, denn das Gesetz eröffnet die Nichtverfolgungsermächtigung ohne weitere Einschränkungen für alle Vergehen (vgl. Mavany in: Löwe/Rosenberg, Komm. StPO, 27. Aufl., § 153 Rn. 26).

Die Computerteile waren für den persönlichen Gebrauch des Beschuldigten bestimmt. Das Zollfahndungsamt geht nach einer Internetrecherche von einem Warenwert unter 1.000 Euro aus.

Die Schuld erscheint danach gering und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung ist nicht ersichtlich.

In den Blick zu nehmen dürfte zudem sein, dass die seit dem Tatzeitpunkt in die Sanktionsverordnung aufgenommenen Regelungen die ursprüngliche Vorschrift in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Zum Tatzeitpunkt enthielt Art. 3i der VO (EU) 833/20214 für Güter des persönlichen Gebrauchs nur folgende Ausnahme (Abs. 3a):

„Das Verbot nach Absatz 1 gilt nicht für Käufe in Russland, die für die Tätigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Union und der Mitgliedstaaten, einschließlich Delegationen, Botschaften und Missionen, oder für den persönlichen Gebrauch von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihren unmittelbaren Familienangehörigen erforderlich sind.“

Mit VO (EU) 2023/2878 des Rates vom 18.12.2023 wurde u.a. folgende Regelung in Art. 3i der VO (EU) Nr. 833/2014 eingefügt (Abs. 3aa):

„Die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats können die Einfuhr von Gütern für den ausschließlich persönlichen Gebrauch durch in die Union einreisende natürliche Personen oder ihre unmittelbaren Familienangehörigen gestatten, beschränkt auf persönliche Gegenstände, die sich im Eigentum der betreffenden Personen befinden und offenkundig nicht zum Verkauf bestimmt sind.“

Gestattungsfähig sind daher nicht mehr nur Käufe in Russland, die für den persönlichen Gebrauch von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten erforderlich sind, sondern alle – auch nicht erforderliche – Güter des persönlichen Gebrauchs auch russischer Staatsangehöriger, sofern sie nicht zum Verkauf bestimmt sind.

Erkennbar wird hieran insbesondere, dass das Merkmal des Art. 3i Abs. 1

„Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen“

in Form einer konkreten Eignung, Russland erhebliche Einnahmen zu erbringen, die nur bei zum Verkauf bestimmten Gütern anzunehmen ist, angesprochen wird.

In der Rechtsprechung ist noch nicht abschließend geklärt, ob überhaupt ein Verstoß nach Art. 3i der VO (EU) 833/2014 vorliegen kann, wenn es sich bei der Einfuhr der fraglichen Güter nicht um einen gewerblichen Vorgang handelt, vgl. AG Lübeck, Beschl. v. 16.08.2023 – 75 Gs 129/23 (Fußnote: vgl. aber auch LG Lübeck, Beschl. v. 26.09.2023 – 6 Qs 25/23, LG Lübeck, Beschl. v. 26.09.2023 – 6 Qs 20/23, AG Lübeck, Beschl. v. 12.07.2023, 75 Gs 111/23, sämtlich jedoch zur alten Fassung der VO ergangen) (Herv. v. Uz.):

„Es besteht kein Verdacht eines Verstoßes gegen § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG, da Art. 3i der EU-Sanktionsverordnung Nr. 833/2014 nicht einschlägig ist.

Die infrage kommende Vorschrift des Artikels 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 lautet:

‚Es ist verboten, die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden.‘

In Anhang XXI, auf den Art. 3i Bezug nimmt, werden unter der Überschrift ‚Liste der Güter und Technologien nach Artikel 3i‘ neben zahlreichen anderen Waren auch „Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zum Befördern von < 10 Personen bestimmt (ausg. Omnibusse der Pos. 8702), einschl. Kombinationskraftwagen und Rennwagen“genannt (KN-Code ...).

 Es ist nicht ersichtlich, dass das sichergestellte Fahrzeug einer Privatperson dazu geeignet ist, Russland erhebliche Einnahmen erbringen. Es ist keine geschäftliche Tätigkeit beim Beschuldigten erkennbar. Typischerweise werden Fahrzeuge eines Touristen nach Beendigung der Reise wieder aus der Union verbracht werden, werden also in aller Regel für Russland keine Einnahmen erbringen.

 Darüber hinaus scheinen vom Verordnungsgeber grundsätzlich nur Vorgänge mit gewerblichem Charakter als tatbestandserfüllend angesehen worden zu sein, da nur diese zumindest grundsätzlich geeignet sind, für Russland Einnahmen zu erbringen, also insbesondere der Verkauf bzw. die Vermietung von Personenkraftwagen in die bzw. in der Union.

 In diesem Zusammenhang ist ferner aufschlussreich, dass die englische Fassung der Vorschrift das in der deutschen Version mit ‚einzuführen‘ übersetzte Wort mit ‚import‘ angibt, was ganz klar auf einen gewerblichen Charakter der ‚Einfuhr‘ hinweist.“

Danach dürfte es sich bei dem Satzteil „Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen“ durchaus um ein eigenes Tatbestandsmerkmal handeln. (Fußnote: Hiergegen AG Lübeck, Beschl. v. 04.09.2023 – 77 Gs 124/23 (n.v.): „‘(…), die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen‘ ist kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, sondern eine Art ‚in die Norm geschriebene Gesetzesbegründung‘. Es kann nicht als eigenständiges Tatbestandsmerkmal gemeint sein, weil ansonsten bei jedem Vorgang nicht nur zu prüfen wäre, ob erhebliche Einnahmen für Russland entstehen, sondern auch, ob diese konkreten Einnahmen Handlungen Russlands ermöglichen, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, was die Norm unanwendbar machen würde.“ Die Entscheidung erging zur alten Fassung und verkennt, dass der Verordnungsgeber nunmehr von den Zollbehörden verlangt zu erkennen, ob Güter „offenkundig nicht zum Verkauf bestimmt sind“. Hieraus wird die konkrete Eignung abgeleitet, für Russland Einnahmen zu erbringen, was vom Verordnungsgeber offenbar als erforderlich für das Einfuhrverbot angesehen wird. Da Einnahmen für Russland grundsätzlich dazu geeignet sind, dessen Handlungen, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, zu ermöglichen, folgt aus dem oben dargestellten Verständnis der Norm keineswegs deren Unanwendbarkeit.)

Jedenfalls bringt der Verordnungsgeber durch seine nachträglich eingefügten Ausnahmen des Verbots nach Art. 3i Abs. 1 VO (EU) 833/2014 zum Ausdruck, dass die Einfuhr von Gütern des persönlichen Gebrauchs natürlicher Personen, die nicht zum Verkauf bestimmt sind, die durch die Sanktionsverordnung zu schützenden Rechtsgüter nicht oder zumindest nicht nennenswert beeinträchtigen oder gefährden. (Fußnote: Anderes dürfte im Hinblick auf die Milliardenbeträge gelten, die von den Mitgliedstaaten der EU weiterhin an Russland u.a. für Gas gezahlt werden, vgl. tagesschau.de v. 30.08.2023: „Dem Krieg in der Ukraine und westlichen Sanktionen gegen Russland zum Trotz: Die Europäische Union importiert deutlich größere Mengen russisches Flüssigerdgas als vor dem Angriff. Es geht um Rekordmengen an LNG. […] EU-Länder werden nach den Projektionen von Global Witness damit im laufenden Jahr rund 5,3 Milliarden Euro in russisches LNG investieren. […] Zwar setzt sich die EU-Kommission für einen Stopp der Käufe ein; so hatte EU-Energiekommissarin Kadri Simson bereits im März die Mitgliedsstaaten zu einem Stopp der Importe aus Russland aufgefordert. Doch an den Importen ändert dies bislang nichts. ‚Es ist schockierend zu sehen, dass sich viele EU-Länder von russischem Gas via Pipelines unabhängig gemacht haben, nur um es dann durch LNG per Tankschiff zu ersetzen‘, zitiert die ‚Financial Times‘ den Global-Witness Experten Jonathan Noronah-Gant. Weiterhin würden damit europäische Unternehmen Milliarden an Wladimir Putins Kriegskasse überwiesen.“)

Vor diesem Hintergrund erscheint der vorliegende Fall für einen Behandlung nach § 153 StPO geeignet.