Umgehung der EU-Sanktionen gegen Russland durch Kryptowährungen

Blockchainbasierte Kryptowährungen eignen sich aufgrund ihrer technischen Merkmale (Dezentralität und Kryptographie) grundsätzlich dazu, die von der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine verhängten Sanktionen zu umgehen. Obwohl diese Vorgänge von den Sanktionsverordnungen erfasst werden, sind sie in der Praxis derzeit schwer aufzudecken und konkreten Beschuldigten zuzuordnen. Maßnahmen gegen Kryptodienstleister und -netzwerke könnten möglicherweise diese Gefahr mindern.

Laut den FAQ der Europäischen Kommission gelten für Transaktionen in Kryptowährungen dieselben Regeln wie für andere Transaktionen (siehe C.6.1 der „Commission Consolidated FAQs on the implementation of Council Regulation No 833/2014 and Council Regulation No 269/2014“, Stand 14.05.2024). Die Europäische Kommission stützt sich darauf, dass die nicht erschöpfende Definition von „Geldern“ in der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 Krypto-Vermögenswerte einschließlich Kryptowährungen umfasst und die Definition von „wirtschaftlichen Ressourcen“ bestimmte Krypto-Vermögenswerte einschließt. Die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates stellt klar, dass „übertragbare Wertpapiere“ auch Krypto-Vermögenswerte umfassen, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten.

Die FAQ der Europäischen Kommission sind für Gerichte nicht bindend. Sie geben auch nicht den „Willen des Gesetzgebers“ wieder, anders als etwa das AG Frankfurt am Main (Urt. v. 31.01.2023 – 943 Ds 7140 Js 235012/22) und das LG Frankfurt am Main (Beschl. v. 10.01.2023 – 5-28 Qs 14/22, n.v.) meinen. Die Kommission ist das Exekutiv- und Regierungsorgan der Union (Martenczuk in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 80. Lfg., Art. 17 EUV Rn. 1). Ihre FAQ als den „Willen des Gesetzgebers“ zu interpretieren, wäre übertrieben.

Unabhängig davon ist den FAQ bezüglich Kryptowährungen zuzustimmen. Das Bereitstellungsverbot und das Einfriergebot gemäß Art. 2 der finanziellen Sanktionsverordnung VO (EU) Nr. 269/2014 beziehen sich unter anderem auf „Gelder“. Diese werden in Art. 1 lit. g dieser Verordnung weit gefasst als „finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art“, verdeutlicht durch die Aufzählung der Zahlungsmittel unter Art. 1 lit. g Ziff. i) („Bargeld, Schecks, Geldforderungen, Wechsel, Zahlungsanweisungen und andere Zahlungsmittel,“). Da Kryptowährungen als Zahlungsmittel verwendet werden können und ihnen ein finanzieller Wert zukommt, gelten sie als „Gelder“ im Sinne dieser Verordnung.

Der Wortlaut des Art. 1 lit. f der sektoralen Sanktionsverordnung VO (EU) Nr. 833/2014 widerspricht diesem Verständnis nicht, wonach zu „übertragbaren Wertpapieren“ bestimmte Arten von „Wertpapieren, einschließlich Kryptowerten, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten“ zählen. Dies lässt sich in Einklang bringen, wenn Kryptowerte als allgemeine Kategorie und Kryptowährungen als „Gelder“ verstanden werden.

Art. 1 lit. f der sektoralen Sanktionsverordnung VO (EU) Nr. 833/2014, eingeführt durch das vierte Sanktionspaket, schließt Kryptowerte in den Begriff der „übertragbaren Wertpapiere“ ein. Damit wird klargestellt, dass sich die kapitalmarktbezogenen Sanktionen der Art. 5, 5a, 5e, 5f VO (EU) Nr. 833/2014 auch auf Kryptowerte beziehen. Verboten sind beispielsweise der Kauf von Kryptowerten und die Erbringung von Dienstleistungen in Bezug auf Kryptowerte, die von der russischen Zentralbank herausgegeben werden (Art. 5a Abs. 1 lit. b) der VO (EU) Nr. 833/2014), also Kauf und Dienstleistungen im Hinblick auf den digitalen Rubel.

Eine spezielle Regelung zur Umgehungsgefahr durch Kryptowährungen wurde durch das fünfte Sanktionspaket mit Art. 5b Abs. 2 VO (EU) Nr. 833/2014 eingefügt. Verboten ist danach die Bereitstellung von „Dienstleistungen im Zusammenhang mit Krypto-Wallets, Krypto-Konten oder der Krypto-Verwahrung“ an Russen sowie in Russland ansässige oder niedergelassene natürliche oder juristische Personen.

Diese Vorschrift wurde durch das achte Sanktionspaket noch verschärft, indem die ursprüngliche Begrenzung des Verbots auf Dienstleistungen bzgl. Kryptowerten im Gesamtwert von mehr als 10.000 Euro gestrichen wurde. Die Regelung führt dazu, dass entsprechende Konten bzw. Wallets russischer Inhaber geschlossen werden müssen; ein Einfriergebot geht damit aber nicht einher.

Diese materiellen Regelungen werden durch Meldepflichten flankiert. Dies betrifft unter anderem den mit dem zehnten Sanktionspaket eingeführten Art. 5a Abs. 4a VO (EU) Nr. 833/2014. Dieser verpflichtet Finanzunternehmen und Versicherungen zu quartalsweisen Berichten über die Beteiligung an Transaktionen mit Reserven und Vermögenswerten der russischen Zentralbank. Art. 5a Abs. 4a lit. c erstreckt diese Meldepflichten ausdrücklich auf Kryptowerte.

Noch relevanter für die Umgehung von Sanktionen mittels Kryptowährungen ist Art. 6 Abs. 1 lit. d VO (EU) Nr. 833/2014. Die Norm enthält eine Meldepflicht für die Mitgliedstaaten und die Kommission, wenn diese Verstöße, Umgehungen oder entsprechende Versuche feststellen. Seit dem elften Sanktionspaket, das sich auf die Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen konzentriert, bezieht die Verordnung ausdrücklich Umgehungen durch Kryptowerte ein.

Um die Möglichkeit der Verschleierung von Transaktionen durch Kryptowährungen einzuschränken, hat die Europäische Union die Verordnung (EU) 2023/1113 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers und Transfers bestimmter Kryptowerte erlassen. Diese verpflichtet Anbieter von Kryptodienstleistungen zur Erhebung und Übermittlung von Angaben über die Beteiligten von Kryptowertetransaktionen. Auf nationaler Ebene deckt diesen Bereich die nach § 15 Abs. 10 S. 1 Nr. 1 Geldwäschegesetz erlassene Verordnung über verstärkte Sorgfaltspflichten bei dem Transfer von Kryptowerten (Kryptowertetransferverordnung – KryptoWTransferV) ab.

Gesetze und Verordnungen entfalten ihre Wirkung jedoch nur, wenn ihre Einhaltung kontrollierbar ist und Verstöße zugeordnet und entsprechend sanktioniert werden können. Eine lückenlose Rückverfolgbarkeit und die staatliche Überwachung aller Vorgänge sind kaum realisierbar. Zudem wäre hierfür Voraussetzung, dass die Kryptodienstleister kooperationsbereit sind und über die technischen Mittel zur Erhebung und Verarbeitung der erforderlichen Informationen verfügen.

Zusätzlich kommt hinzu, dass es teilweise das Geschäftsmodell solcher Dienstleister ist, die Möglichkeiten der Rückverfolgbarkeit und Überwachung technisch auszuschließen oder diese, falls sie gegeben sind, nicht zu nutzen. Beispiele sind Mixer oder Tumbler, die potenziell identifizierbare Krypto-Geldmengen mit anderen vermischen, um die Anonymität von Transaktionen zu verbessern und die Verfolgung der Spur der Kryptowerte zu erschweren. Insbesondere solche Dienstleister könnten selbst Ziel von Sanktionen werden. So wurde am 08.08.2022 vom Office of Foreign Assets Control des US-Finanzministeriums der Tumbler Tornado Cash „geblacklistet“. Damit war es Bürgern, Einwohnern und Unternehmen der Vereinigten Staaten verboten, über diesen Dienst Geld zu empfangen oder zu versenden. Der Vollzug solcher Sanktionen dürfte sich aufgrund der Dezentralität jedoch als schwierig erweisen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kryptowährungen technisch zur Umgehung von Sanktionen geeignet sind. Solche Umgehungen sind jedoch insbesondere durch die Sanktionsverordnungen der Europäischen Union gegen Russland verboten und nach § 18 Abs. 1 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) strafbar. In der Praxis sind bislang keine groß angelegten oder systematischen Sanktionsverstöße durch Transaktionen in Kryptowährungen beobachtet worden. Es bleibt abzuwarten, ob solche noch auftreten oder aufgedeckt werden und inwieweit die Ermittlungsbehörden über die notwendigen technischen und personellen Ressourcen verfügen, um die Täter innerhalb der strafrechtlichen Verjährungsfristen zu ermitteln und letztlich zu bestrafen.