Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Verwendbarkeit in der Strafjustiz sind in aller Munde. Unter Rechtsanwälten greift teilweise die Angst um sich, durch den Einsatz von KI in nicht allzu ferner Zukunft entbehrlich oder zumindest weniger gebraucht zu werden. Der vom Unternehmen OpenAI im November 2022 veröffentlichte Chatbot ChatGPT bietet Gelegenheit, sich vom derzeitigen Stand der Technik ein Bild zu machen.

Beim Thema Steuerstrafrecht besteht ersichtlich noch Nachbesserungsbedarf. So ist ChatGPT die sog. „Millionenrechtsprechung“ des 1. Senats des Bundesgerichtshofs anscheinend unbekannt. Auf die Frage „Mit welcher Strafe muss ich in Deutschland rechnen, wenn ich über eine Million Euro Steuern hinterziehe?“ liefert ChatGPT folgende – nicht durchweg falsche, aber unvollständige – Antwort:

„In Deutschland richtet sich die Strafe für Steuerhinterziehung nach dem deutschen Steuerstrafrecht, insbesondere nach § 370 der Abgabenordnung (AO). Die konkrete Strafe hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab und kann im Einzelfall unterschiedlich ausfallen.

Grundsätzlich wird die Hinterziehung einer beträchtlichen Summe wie einer Million Euro als besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung angesehen. Gemäß § 370 Absatz 3 Satz 2 AO handelt es sich dabei um eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden kann. Zudem ist auch eine Geldstrafe möglich.

Bei der Strafzumessung berücksichtigen die Gerichte verschiedene Umstände, wie die Höhe des hinterzogenen Betrags, die Dauer und Intensität der Taten, das Verhalten des Täters während des Verfahrens und eventuelle Vorstrafen. Auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters können eine Rolle spielen.

Zusätzlich zur strafrechtlichen Verfolgung können Steuerhinterzieher in Deutschland auch mit erheblichen Nachzahlungen der hinterzogenen Steuern, möglichen Geldbußen und zivilrechtlichen Folgen rechnen.

Da das Strafmaß von vielen individuellen Faktoren abhängt, empfehle ich dringend, einen Rechtsanwalt oder Steuerberater zu konsultieren, der sich mit dem deutschen Steuerstrafrecht auskennt. Dieser kann Ihnen eine genaue rechtliche Beratung geben, die auf Ihren spezifischen Fall zugeschnitten ist.“

Insbesondere den letzten Satz wird jeder Steuerstrafverteidiger natürlich sofort unterzeichnen. Die für den Betroffenen drängendste Frage: „Muss ich ins Gefängnis oder nicht?“ bleibt von ChatGPT allerdings unbeantwortet.

Auf die Nachricht „Bitte fasse mir das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 02.12.2008 mit dem Aktenzeichen 1 StR 416/08 kurz zusammen.“ liefert ChatGPT folgende – völlig falsche – Antwort:

„Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 02.12.2008 mit dem Aktenzeichen 1 StR 416/08 befasste sich mit folgendem Sachverhalt: Ein Angeklagter wurde wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in mehreren Fällen verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil der Vorinstanz. […]“

Es ist nicht erkennbar, welches Urteil ChatGPT mit dem Urteil des 1. Senats des Bundesgerichtshofs zur Steuerhinterziehung verwechselt hat.

Auf die Nachricht „Bitte fasse mir das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.02.2012 mit dem Aktenzeichen 1 StR 525/11 kurz zusammen.“ (ebenfalls ein Urteil zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe) liefert ChatGPT folgende Antwort:

„Leider habe ich keinen direkten Zugriff auf die Datenbank spezifischer Gerichtsurteile, einschließlich des genannten Urteils des Bundesgerichtshofs vom 07.02.2012 mit dem Aktenzeichen 1 StR 525/11. Als KI-Modell habe ich Zugriff auf allgemeines Wissen und kann keine spezifischen Gerichtsurteile oder deren Zusammenfassungen abrufen. […]“

Der Abruf spezifischer Gerichtsurteile ist im Fall des Bundesgerichtshofs allerdings jedermann möglich (alle Urteile ab 01.01.2000 sind auf https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/list.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288 im Volltext abrufbar).

Die Antwort auf die Bitte, die in die Anfrage in den Chat hineinkopierten Urteilsgründe zusammenzufassen, brachte eine bloße Umformulierung (und das Weglassen von Fundstellen) der ersten eineinhalb Seiten der Gründe. Die maßgeblichen Ausführungen im Urteil zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe.

Zu anderen (eher allgemeinen) rechtlichen Fragen liefert ChatGPT teilweise erstaunlich brauchbare Antworten. Im Steuerstrafrecht bleibt es derzeit bei dem Rat, dringend „einen Rechtsanwalt oder Steuerberater zu konsultieren, der sich mit dem deutschen Steuerstrafrecht auskennt. Dieser kann Ihnen eine genaue rechtliche Beratung geben, die auf Ihren spezifischen Fall zugeschnitten ist.“